Reisen mit dem Lord

15.04.2018

Bevor ich zu der Tour vom Sonntag komme, kurz zu der Vorgeschichte. Ostern wurde ich im Klassikerforum auf eine Anzeige bei ebay.kleinanzeigen aufmerksam gemacht. In Baden-Würtemberg stand ein Raleigh Rennrad zum Verkauf. Da ich schon einige Rennräder hatte, suchte ich gerade nicht unbedingt ein weiteres. Aber als ich dann die Fotos sah und die Anzeige las, war es um mich geschehen. Hier wurde ein Raleigh aus den 80er Jahren in schicker grün-weiß-rot Lackierung angeboten. Der Rahmen war aus Reynolds 653 Rohren, dem Besten was es damals gab. Und das Ganze zu einem sehr günstigen Preis. Ausgestattet war das Rad mit einer nicht standesgemäßen einfachen Shimano Gruppe (RX 100). Trotzdem schlug ich zu und der Verkäufer bot mir glücklicherweise den Versand des Rades an. So blieben mir über 1000 km Fahrt am Ostersonntag erspart.

Recherchen ergaben das der Rahmen von 1988 war und damals das absolute Topmodell von Raleigh war. Der Rahmen wurde in einer kleinen Manufaktur, die zu Raleigh gehörte, mit Silberlot von Hand gelötet und aufwändig lackiert.  Das 653 Race gab es nur als Rahmenset und musste selbst oder beim Radhändler nach Wunsch aufgebaut werden. Das ließ mir bei der Ausstattung viel Spielraum.

Ende der folgenden Woche traf das Rad in unversehrtem Zustand bei mir ein. Einige gute Teile hatte ich zum Glück noch vorrätig und so begann am Samstag der Neuaufbau. Ich zerlegte das Rad komplett bis zur letzten Schraube, putzte, polierte und versiegelte den Rahmen und die Gabel. Die Shimano Bremsen wurden durch welche von Campagnolo ersetzt. Die Schaltung kam vorerst gereinigt wieder ans Rad. Sie wird nächsten Monat durch eine Suntour Supreme Pro (Topgruppe aus der Zeit) ersetzt. Lenker und Vorbau hatte ich noch etwas Gutes von Cinelli. Dazu kam Lenkerband aus weißem Leder von Selle Italia. Der Sattel wurde ein weißer Selle San Marco Rolls, mein Lieblingssattel. Laufräder wurden vorläufig Shimano Naben mit dunklen Mavic MA40 Felgen und Michelin Klassik Drahtreifen in 25 mm Breite. Ich habe aber schon einen Laufradsatz hier, der mit Suntour Naben und dunklen Mavic GP4 Felgen für Schlauchreifen ausgestattet ist. Sobald ich dafür Schlauchreifen habe, ersetzt der den anderen Satz, den ich aus dem RIH entliehen habe. Die Shimano Bremshebel werden noch durch Campagnolo Chorus Hebel ersetzt. Ziel ist es mal ein Rad komplett ohne Shimano aufzubauen. Pedale sind rote Look Carbon, ebenfalls von 1988.

Natürlich bekam auch dieses Rad einen Namen von mir. Da es mich irgendwie an verarmten englischen Landadel erinnerte, bekam es den Namen Lord of Nowhere verpasst. Ein Lord im Exil in NRW.

Jetzt aber zu der Tour am Sonntag. Mit Tom hatte ich mich in der Nähe des Preußenhafens verabredet. Da es den ganzen Vormittag regnete, trafen wir uns erst um 12 Uhr. Da war es trocken und die Sonne ließ sich blicken. Tom kam mit seinem neunziger Jahre Rickert. Ich fuhr natürlich mit dem Lord. Unsere erste Tour und ich war schon gespannt. Wir fuhren Richtung Norden und dann östlich an Lünen vorbei. Von den ersten Metern an, fühlte ich mich auf dem Raleigh gut. Es schien so als hätte ich alles richtig gemacht. Die überholte Schaltung tat zuverlässig ihren Job und die Campa Dual Pivot Bremsen waren über jeden Verdacht erhaben. Gut zu dosieren und wenn nötig auch brachial ohne große Handkraft.

Überall sah es nach Frühling aus und das Grün war auch grüner als noch vor wenigen Wochen. Dazu war es bereits so warm das ich kurzärmlig fahren konnte.

 

Am Horizont noch die Zeichen des Ruhrgebiets. Doch uns zog es mit Macht ins schöne Münsterland.

 

Auch dem Lord gefiel die weite, leicht wellige Landschaft. Er fühlte sich fast wie zu Hause. Aber auch das Rickert von Tom machte eine gute Figur. Toll ist auch das blaulila. Eine schöne Lackierung die ich so noch nicht von Rickert kannte.

 

Dann bogen wir ab und hatten plötzlich einen wildgewordenen Pedelec-Fahrer neben uns. Der wollte anscheinend unbedingt ein Rennen. Das sah schon witzig aus wie ein dickbäuchiger untrainierter älterer Fahrer mit seinem offensichtlich illegal getunten Pedelelc (nein, kein e-bike bis 45km/h) versuchte uns zu überholen. Bis 35 km/h hielt er (besser sein Pedelec) erstaunlicherweise noch mit. Er bog sogar in die gleiche Straßen wie wir ab. Doch der Lord wollte sich natürlich keine Blöße geben und sich von so einem profanen Elektro-Mopped überholen lassen. Bei teilweise deutlich über 35 km/h ging dem Pedelec dann nach einigen Kilometern anscheinend irgendwann der Saft aus. Tom versuchte mich wohl wieder etwas einzubremsen, aber es dauerte eine Weile bis ich mitbekam das das Pedelec weg war. Der Lord und ich waren ob dieser Demonstration jedenfalls zufrieden. Das Raleigh hat halt echte Renngene, da darf es auch mal etwas flotter werden. Aber dann drosselten wir das Tempo und kamen zurück zu unserer Genusstour.

 

Werne passierten wir westlich und hielten uns Richtung Südkirchen und Nordkirchen. Vorbei an Ascheberg erreichten wir Emmerbach.

 

Unterwegs dann ein kleiner Fotostopp. Wie hieß es doch so schön, vor Gott und der Queen wären alle Lords gleich. Oder war das anders?

 

Wir genossen jedenfalls die Sonne und die Landschaft und fuhren auf wenig befahrenen Straßen und Wegen. Dann erreichten wir Rinkerode.

 

Nun ging es ein Stück entlang der teilweise wild gewordenen Werse. Mein Lord hatte erstaunlicherweise für einen Engländer ein ähnliches Temperament. Manchmal erinnerte mich das Raleigh eher an ein italienisches Rennrad.

 

In Albersloh war dann nach ca. 55 km Pause angesagt. Wir fanden eine offene Bäckerei und setzten uns draußen an einen der Tische. Da ich seit dem Frühstück nichts gegessen hatte und es mittlerweile Nachmittag war, hatte ich entsprechend Hunger. Zwei belegte Brötchen und ein großer Kaffee waren leider so schnell verputzt, das auf dem Foto nur noch Krümel übrig blieben. Tom gönnte sich ebenfalls einen Kaffee und dazu ein großes Stück Obstkuchen. Ich nutzte die Zeit dann noch um meinen Steuersatz nachzustellen. Das ging zum Glück ohne Probleme. Frisch gestärkt fuhren wir nach der Pause weiter. Es ging zunächst wieder ein Stück an der Werse zurück.

 

Die herrliche grüne Landschaft musste man einfach genießen. Wir durchquerten Drensteinfurt und kamen durch den kleinen Ort Mersch.

 

Kurz vor Hövel bogen wir nach Westen ab. Erst bei Werne führte unsere Route wieder nach Süden.

 

Überall ließen sich die Boten des Frühlings blicken. Ab und zu verschwand die Sonne mal hinter ein paar Wolken. Aber es blieb trocken und mit um die 20 Grad ausreichend warm.

 

Auch das Wolkenspiel war beeindruckend. Die Sonne kam aber immer wieder zurück.

 

Immer wieder ging es bergauf. Aber auch hier konnte ich mittlerweile mit Tom mithalten. Mein Gewicht ging langsam aber stetig bergab. 21 kg hatte ich seit Januar verloren. Nach Langern kamen wir zurück nach Lünen. An der Seseke erreichten wir das Schloss Schwansbell. Das alte Wasserschloss gab es in der Form erst seit dem 19. Jahrhundert. Vorher stand dort seit dem 12. Jahrhundert eine alte Burg.

 

In dem Nebengebäude befand sich das Heimatmuseum von Lünen und ein Trauerzimmer.

 

Auch alte Grabsteine hatte man vor dem Wirtschaftsgebäude gesammelt.

 

Aber den Lord interessierte natürlich nur das Schloss. Er bestand darauf sich vor der Freitreppe fotografieren zu lassen. Er wollte das Foto nach England schicken und das Schloss als seines ausgeben. So ein Aufschneider! Wo blieb da das berühmte britische Understatement? Wehe er meckert demnächst an meiner Behausung herum.

 

Vom Schloss fuhren wir dann über den Datteln-Hamm-Kanal zum Preußenhafen. Hier war bei dem Wetter die Hölle los. Wie schön leer war es dort im Winter gewesen. Doch schließlich fand ich eine gute Stelle für ein Foto. Gegen 19 Uhr waren wir nach 116 km mit einem Schnitt von knapp 23 km/h wieder am Parkplatz. Ich verabschiedete mich von Tom und lud mein Rad ins Auto. Eine wunderschöne Frühlingstour ging zu Ende. Auch wenn wir zwischendurch mal Gas gaben, war es insgesamt schon eher eine Genusstour. Ich war mit meinem Raleigh mehr als zufrieden. Ein wirklich tolles Rad.

 

Jennifer aka Sonne_Wolken

 

 

 

 


7 Gedanken zu “Reisen mit dem Lord

  1. Du solltest einfach keine Anzeigen mehr lesen. Oder zumindest keine mit dem Thema Fahrrad. Denn sonst mußte Du bald umziehen, weil kein Platz mehr in Deiner Wohnung ist.

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      1. Es ist ganz einfach, ich gehe ja auch nicht auf Bikemessen. Auch in Bikeläden geh ich auch nur extrem selten. Und dann auch meist mit einem konkreten Grund. Grund, nicht Vorwand !

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